Die Bändigung des Pulsschlags

von Gaby Bühlmann

Der Pulsschlag ist der zentrale Rhythmus unserer Lebensfunktionen. Etwa 60 Schläge pro Minute tut das Herz in Ruhe, Tag und Nacht treibt die Muskelpumpe den roten Saft in die Organe. Sauerstoff, Zucker, Mineralien und Hormone werden so zu ihren Verbrauchern gebracht. Auf dem Retourweg fließen die Rückstände zur Entsorgung ab.

Zwischen Schlaf und körperlicher Höchstleistung kann sich das Herz an deutlich verschiedene Drehzahlen anpassen. Die Schlagrate kann auf bis zu 200 pro Minute steigen, die Transportleistung pro Kontraktion des Herzmuskels vermag sich zu vervielfachen. Wie ein Motor im Leerlauf nur leise säuselt, bei Vollgas aber kräftig brummt, so verwandelt sich der sanfte Ruhepuls bei Arbeit oder Stress in einen "Klopfsauger".
Schützen spüren dies im Wettkampf, wenn der erste oder letzte Schuß aufgezogen wird. Gerade im Liegend- und Kniendanschlag ist das problematisch, weil der gleichmäßige Takt die Waffe in eine rhythmische Bewegung versetzt. "Ich hab’ ‘nen Puls drin" lautet die lapidare Meldung in diesem Falle. Das Ringkorn schlägt munter zur Seite aus, das Auslösen wird äußerst riskant, weil man die richtige Phase erwischen muss, um böse Querschläger zu vermeiden.

Die Wirkung des Pulses auf den Anschlag lässt sich niemals völlig ausschließen. Im SCATT-Bild lassen sich immer Anteile der Herzkontraktion nachweisen. Das Bild oben vergleicht einen Liegendschützen mittlerer Klasse (links, ca. 580 Ringe) mit einem Meister (rechts, >595). Da fragt niemand mehr, wo 15 Ringe Unterschied zu suchen sind...

Wer mit dem Puls im Anschlag zu kämpfen hat, kann sich mit ganz verschiedenen Mitteln zur Wehr setzen. Das beginnt mit körperlichem Training. Wer die Ausdauer durch Laufen oder Radeln verbessert, senkt die Schlagfrequenz seines Herzens. Das schlägt dann nur noch 50 Mal pro Minute und lässt zwischen zwei Kontraktionen einen größeren Abstand. Gut trainierte Sportler schaffen die gleiche Arbeitsleistung bei niedrigeren Frequenzen. Sie erleben deshalb bei Stress oder Hitze weniger große Steigerungen.
Die zweite Ebene zur Beruhigung des Pulses ist die viel zitierte "Psyche". Schützen geraten kaum wegen körperlicher Anforderungen in Wallung, meist sind es die Gedanken, die das Herz in Aufruhr bringen. Dagegen hilft Entspannungstraining, das die Grundlagen zur mentalen Beeinflussung des Pulses vermittelt ("Ich bin ruhig und entspannt").

Besonders Atemübungen eignen sich zur Dämpfung der Frequenz, weil eine gleichmäßig verlangsamte Lungentätigkeit das Herz gemächlicher schlagen lässt. In der Praxis erreicht der Schütze viel, wenn er bei starkem Anstieg des Pulses eine kleine Pause einlegt und ruhig durchatmet. Anschließend sollte er seine Aufmerksamkeit wieder der Steuerung des Schusses zuwenden und insbesondere auf die gewohnte Atmung achten.

Die nächste Ebene zur Behandlung von Pulsstörungen ist die Schießkleidung. Gut gepolsterte Aufnäher an den Ellbogen und am linken Oberarm dämpfen die Vibrationen. Jacke und Ärmel dürfen nicht zu eng sitzen, sonst drücken sie die Schlagadern ab und verstärken dadurch den Puls. Kritisch ist insbesondere die Gesamtweite des Oberkörpers (Gewicht halten!) und das Raumangebot für die Arme. Um die Weite der Ärmel zu variieren, wechseln viele Schützen von Anschlag zu Anschlag die Unterbekleidung. Manchmal werden zum Beispiel die Innenseiten der Ellbogen ausgeschnitten, um Platz zu schaffen.
Im Liegendanschlag können bei sehr festen Jacken die Knöpfe (bis auf den obersten) geöffnet bleiben. Viele Spezialisten verzichten liegend übrigens auch auf die Schießhose, um Einengungen um den Bauch herum zu vermeiden (ausprobieren!). Im Kniendanschlag wird die Hose vorn so weit wie möglich geöffnet (bis in den Schritt), der rechte Schuh wird ebenfalls nur locker verschnürt.

Ein besonderes Kapitel bei der Pulsübertragung kommt dem Schießriemen zu. Er verschnürt Waffe und Körper, außerdem läuft er um den Oberarm. Gerade die Arterie an der Innenseite des Oberarms gibt die stärksten Impulse ab. Bei der Befestigung des Riemens muss der Verlauf der Schlaufe deshalb sorgfältig "ausbaldowert" werden. Entscheidend ist die Höhe des Ansatzes und die Drehung um den Arm. In der Praxis bewährt es sich, den Zug des Riemens nach außen zu verlagern, damit der Druck auf die Innenseite gering bleibt. Die Halterung an der Jacke wird eingesetzt, um den Riemen außen zu fixieren und einen Teil der Haltekräfte auf die Rückenpartie zu verlagern.

Unbedingt zu vermeiden sind Kontakte zwischen Riemen und Gewehr. Einmal untersagt die Sportordnung solche Anlehnungen. Vor allem aber führen Berührungen hier zu unregelmäßigen Pulseinflüssen.

Die linke Stützhand am Vorderschaft wird als Quelle von Pulsübertragungen unterschätzt. Im Handgelenk und im Handteller verlaufen Adern, die bei starkem Druck genügend Energie entwickeln, um die Waffe in Schwingungen zu versetzen. Hier gilt es zunächst, den idealen Handschuh mit geeigneter Polsterung zu finden. Der Vorderschaft darf nicht zu breit sein, damit der Daumen nicht anliegt. Notfalls muß die Breite durch Abbau der Holzelemente oder durch Raspeln reduziert werden.

Die Form des Stopps beeinflusst Druck (und Schmerzen) in der Hand ganz wesentlich. Zu große Durchmesser spreizen Daumen und Zeigefinger übermäßig, der Handrücken darf nicht "eingeklemmt" werden. In jedem Fall lohnt es sich, mit verschiedenen Stoppern zu experimentieren (von Kollegen ausleihen!), bis ein Minimum an Puls und Pein erreicht ist.
Erstaunlich positiv wirken sich geringe seitliche Verlagerungen des Handstopps aus. Meist reichen 2-4 Millimeter zum Daumen hin, um deutlich verringerte Spannungsverhältnisse und Pulsintensitäten zu schaffen. Aufschluss über die Wirkung solcher Experimente gibt der Blick durch die Visierung oder die Konzentration auf das Gefühl in der Hand. Wer es genau wissen will, sollte ein 50-Meter-SCATT installieren. Damit lassen sich alle Probleme bis ins Detail ausleuchten.

Die Pulsübertragung ist von vielen Faktoren abhängig. Um ein Minimum zu erreichen, solltest du sämtliche Elemente der Reihe nach optimieren. Das dauert eine Weile und verlangt systematisches Vorgehen. Aber es lohnt sich. Wenn dein Gewehr wirklich ruhig im Ziel liegt, fallen die Zehner wie reifes Obst...

Gut Schuss wünscht Ihnen Gaby Bühlmann