Die Seelenachse und die Bändigung des Sprungs

von Gaby Bühlmann

Eines der malerischen Worte zur Beschreibung einer Schusswaffe ist der Begriff "Seelenachse". Dieser ballistische Fachausdruck meint die Mittellinie der Laufbohrung. Um diese gedachte Achse dreht sich das Geschoss beim Start.

Die flugtechnischen Probleme des Schusses sollen uns hier weniger interessieren, die überlassen wir getrost den Waffen- und Munitionsherstellern, bei denen sie sich in guten Händen befinden.
Den leistungsorientierten Sportschützen berührt die Startbahn des Geschosses ganz direkt, nämlich in Form des Rückstoßes. Genau in Richtung der Seelenachse, allerdings nach hinten gerichtet, stößt ein Gewehr gegen die Schulter des Schützen. Je stärker die Ladung, desto intensiver die Reaktion. Ein Luftgewehr ruckt kaum merklich, der Großkaliberstutzer schlägt heftig aus.
Wer den Luftdruckstoß wegen geringer Energie für unbedeutend hält, befindet sich aber auf dem Holzweg. Zwar ist er kaum zu spüren, trotzdem sorgt er angesichts des winzigen Ziels für erhebliche Wirkungen. Weil sich das Diabolo vergleichsweise langsam in Bewegung setzt, reichen schon geringe Störimpulse, um den Doppelkegel bis zur Mündung abzulenken. Mit immer kürzeren Lauflängen und Kompensatoren haben die Luftgewehrschmiede diese Gefahr zwar reduziert. Trotzdem gehen viele Neuner weiterhin auf das Konto von Bewegungen, die nach dem bewussten Auslösen erfolgen.

Das SCATT-Bild nebenan zeigt die Reaktion eines Luftgewehrs im Schuss als rote Kurve. Der von außen kaum sichtbare Sprung der Mündung beläuft sich auf der Ebene des Ziels immerhin auf zwei Ringbreiten. Und das bei einer ausgezeichneten Waffe in den Händen eines Meisters. Weniger gut "kompensierte" Luftgewehre erzeugen einen deutlich höheren Satz, der bis zu 4 Ringbreiten betragen kann. Auch die Fes-tigkeit des Anschlages und das Gewicht des Schützen beeinflussen die Reaktion. Je stabiler und massiger der Körper, desto geringer der Ausschlag. Wer also einen geringen Sprung bevorzugt, sollte sich für eine moderne Büchse, möglichst mit Kompensator oder ähnlichen Minderern, entscheiden. Eine technisch gute und feste Position hält das Schießeisen zusätzlich im Zaum. Genaue Auskunft über diese beiden Faktoren liefert die Zielwegdiagnostik.
Ebenso wichtig wie die Reduzierung des Sprungs ist seine Lenkung. Gleichmäßige Ausschläge sorgen für gleich bleibende Trefferbilder. Unregelmäßigkeiten in der Austriebsphase schlagen als Ausreißer auf der Scheibe ein.

Beim Training ist darauf zu achten, dass die rote Sprungkurve wie im Bild exakt in ihren Startpunkt zurückfällt. Durch die Visierung sieht das wie ein kurzer Ausschlag nach oben aus, der im Nachhalten wieder präzise im Ziel landet. Eine einfache Forderung, die in der Tat allerdings einige Vo-raussetzungen verlangt.
Die Einstellung der Waffe: Moderne Luftgewehre, Aluschäfte zumal, bieten eine Vielzahl von Verstellmöglichkeiten. Schaftkappe und Backe können verschoben und verdreht werden, der Griff lässt sich drehen und schwenken, sogar der Vorderschaft kann neuerdings seitlich ausgeschwenkt werden. Diese Variationen sind gedacht, um die Waffe an den Schützen anzupassen.
Leider sieht man allzu oft skurrile Einstellungen, die die guten Absichten der Kons-trukteure weit verfehlen. Gern werden extreme Positionen etwa für das seitliche Ausschwenken der Schaft-kappe gewählt, einfach weil Sportordnung und Nutenfräsungen diese Abseitsfallen erlauben.

Was sich nach mühevollem Schrauben dann halbwegs vernünftig anfühlt, verstößt bei näherem Hinsehen gegen die Grundgesetze der Mechanik. Was seitlich neben der Seelenachse angeordnet ist, verursacht beim "Aufprall" der Waffe gegen den Körper Ablenkungen, die der Schütze nur mühsam unter Kontrolle bringt. Eine Billardkugel prallt schräg ab, wenn sie seitlich auf eine andere trifft. Ebenso verursachen Kontaktpunkte neben der Seelenachse seitliche Ausschläge der Waffe im Schuss, weil die Haltekräfte neben der Stoßrichtung liegen. Je mehr seitliche Hebel wirken und je weiter sie von der Beschleunigungslinie abweichen, desto größer und unberechenbarer der Ausschlag. Wenn das Gewehr beim Blick über die Schulter einen seitlichen und unregelmäßigen Sprung vollführt, sind meistens weit verschobene Kappen, Backen und Griffe die Ursache.

Deshalb folgender Rat: Lasse die Anbauteile des Gewehrs so weit wie möglich in ihrer geradlinigen Stellung zur Seelenachse. Kappe, Griff und Vorderschaft sollten senkrecht nach unten verlaufen und nicht verdreht werden. Auch das seitliche Verkanten des Gewehrs führt zu einer Verdrehung der Waffe im Schuss (meist zur linken offenen Seite) und sollte deshalb so gering wie möglich ausfallen. Die Abzugszunge ist ein besonders empfindliches Element, weil sie beim Auslösen einen Impuls auf das Gewehr überträgt. Sie sollte unbedingt mitten unter dem Lauf befestigt sein und absolut senkrecht zur Seelenachse verlaufen.

Unumgänglich ist meist eine geringe seitliche Auslagerung der Schaftkappe, die bei großen, breitschultrigen Schützen stärker ausfällt. Gerade hier gilt die Empfehlung, die Verschiebung gering zu halten.

Aufschluss über die Qualität des Sprungs liefert im Training und im Wettkampf der Blick über die Schulter, leicht seitlich am Lauf entlang wie im Bild oben. Genauere Daten liefern natürlich SCATT-Messungen, die inzwischen auch den KK-Schuss mit absoluter Präzision wiedergeben. Beim Training mit diesem Verfahren lassen sich kleine Veränderungen der Waffeneinstellung in ihrer Wirkung exakt auswerten. Gleichzeitig lernt der Schütze auf diesem Weg, das Nachhalten als wichtigstes Element der Schusskontrolle gewissenhaft auszuführen.